Ileostoma oder Pouch?
Meine ganz persönliche Geschichte:
Ganz am Beginn will ich darauf hinweisen, dass alle meine wiedergegebenen Erfahrungen rein subjektiv, auf meinen ganz speziellen Fall zugeschnitten, in keinster Weise medizinisch überprüft und daher ein reiner Erfahrungsbericht eines Laien sind. Es gibt so viele unterschiedliche Krankheitsverläufe, die so individuell sind, daß es sehr schwer zu prophezeien ist, ob sie auch auf jemand Anderen zutreffen könnten.
Es werden sicherlich viele unter Ihnen sein, die den „Ileum Pouch“ vollkommen problemlos erleben und ich freue mich von ganzem Herzen mit Ihnen und es werden genauso welche unter Ihnen sein die große Probleme mit Ihrem Stoma haben, Ihnen wünsche ich von ganzem Herzen das sich alles zum Besseren wendet!
Aber nun zu meiner Geschichte:
Mit 18 Jahren hab ich das erste Mal Beschwerden verspürt und bald darauf auch die Diagnose „Colitis Ulcerosa, verbreitet auf den ganzen Dickdarm“, erfahren. Habe dann 3 Jahre später bei einer Operation meinen ganzen Dickdarm verloren und einen Ileum Pouch angelegt bekommen (aus Dünndarm wird ein künstlicher Hohlraum als Stuhlreservoire gebastelt und an den After angeschlossen). Ich war damals 1984 wahrscheinlich einer der Ersten in Österreich mit dieser Operation. Für 2 1/2 Jahre mußte ich aber mit einem temporären künstlichen Dünndarmausgang leben, weil sich die Rückoperation bedingt durch eine Fistel verzögerte.
Nach der Verschließung des künstlichen Ausganges, folgten einige sehr mühsame und beschwerliche Jahre der "Gewöhnung", danach hatte ich aber immer wieder ein paar gute Monate/Jahre.
Gern möchte ich Ihnen mitteilen, was ich unter „guten Monaten“ verstanden habe.
Zu den absoluten Highlights meiner 14 jährigen Zeit mit dem Pouch zählten ein paar Fußballspiele, an denen ich teilnahm, natürlich nur unter vorheriger "Abstimmung" des ganzen Spieltages, was bedeutete: kleines Frühstück, nichts von meinem geliebten morgendlichen Kaffee, wenig Mittagessen, am besten Nudeln oder Reis und dann bis zum Abendspiel nichts mehr zu sich nehmen. Zeitig vor dem Spiel dort sein, um noch ganz knapp vor Spielbeginn in aller Ruhe auf die hoffentlich vorhandene Toilette zu gehen, dabei nicht zu vergessen, eine dicke Einlage in die Netzstrumpf verstärkte Unterhose zu geben und dann mit dem Anpfiff das Spielfeld zu erreichen und dann half nur mehr beten: "hoffentlich bekomm' ich keine Blähungen und hoffentlich schaff' ich es bis zur Pause..."
Möchte an der Stelle aber nochmals daraufhin weisen, dies Alles war nur in den besten, sehr spärlichen, Monaten möglich.
Vormittag war immer alles einfacher, außer ich war wieder einmal bei meiner Lieblingsmahlzeit Frühstück maßlos... Nach dem Mittagessen begann alles etwas mühsamer zu werden, jede ungeplante kleine Aktion, konnte einen zappeligen, Füße kreuzenden und Popobacken zusammenzwickende Situation erzeugen und solche Momente gab es unzählige.
Ein "Gesunder" kann sich das glaub' ich nur sehr, sehr schwer ausmalen, am Besten macht es vielleicht folgendes Szenario deutlich: "Denk' Dir Du hast Durchfall und willst trotzdem Deinen ganz normalen Alltag durchziehen..."
Das kostet auf Dauer schon sehr viel Energie. Man darf bei dem ganzen Schlamassel auch nie darauf vergessen, dass all unsere Beschwerden ja so sehr Tabu behaftet sind!
Der meistens länger dauernde und mehrmalige Aufenthalt auf den Toiletten, der noch dazu trotzdem nicht immer „erleichternd“ war und der Empfang danach mit den Worten „na bist in die Klomuschel gefallen“? Wer gibt schon gerne allgemein Auskunft über seine intimen Befindlichkeiten, manchmal wünschte ich mir eine „ganz normale“ Krankheit, sowie z.B. eine Herzerkrankung oder sonst was, wo jedem klar ist welche Einschränkungen das mit sich zieht und die auch jeder ohne Probleme und schlechte Scherze akzeptieren kann.
Immer vor irgendwelchen Verabredungen oder Unternehmungen abwägen, „werde ich es genießen können oder ständig unter Druck sein, ob sanitäre Erfordernisse in greifbarer Nähe und in ordentlichem Zustand sind“. Ich konnte nicht einfach spontan nach Lust und Laune entscheiden Dinge zu unternehmen, ich mußte vorher immer genau abwägen, was überwiegen wird – die Freude dabei zu sein oder die Mühsal und eigentlich nur darauf zu warten, endlich wieder nach Hause fahren zu können. Oder immer diese Ungewißheit, ob es dort oder am Weg sanitäre Anlagen gibt, nur frag' einmal einen Gesunden, ob Toiletten in der Nähe sind, Du wirst oft keine Auskunft bekommen - warum ? - weil das für Sie nicht diesen Stellenwert hat und daher viel weniger wahrgenommen wird – zusätzlich ist dann noch dieses „Outen“ dabei, wenn man genau nachfragt und Bescheid wissen will, also so hab' ich es zumindest öfters empfunden.
Ich habe es oft nicht zusammengebracht die wahren Gründe meiner Überlegungen darzulegen, sondern mich lieber als „Fauler“ oder „Spaßverderber“ abstempeln lassen, nur um mich nicht näher erklären zu müssen.
Das alles klingt ziemlich anstrengend und war es auch.
Außerdem hatte ich auch immer wieder Entzündungen in meinem Pouch und mußte Medikamente einnehmen, um sie im Zaum zu halten, was letztendlich meinem Körper und speziell meiner Knochendichte auch nicht gerade zuträglich war.
Nach der Diagnose „high grade Dysplasien“ in meinem Pouch im Jahr 2001, damit sind Tumore gemeint, die haarscharf davor sind bösartig zu werden, mußte ich mir leider den Pouch entfernen lassen, noch dazu gerade zu einer Zeit, in der es mir recht gut gegangen ist.
Ich wollte unter absolut keinen Umständen wieder einen künstlichen Ausgang bekommen, hab' meinen Chirurgen beschworen „alles zu unternehmen, damit ich einen zweiten Pouch bekommen kann“!
Es kam dann alles anders und ich bin mit einer endständigen Ileostomie und dem Verlust des inneren Schließmuskels aus dem Spital gegangen, mit der Option mich innerhalb eines Jahres einer weiteren Operation zu unterziehen, um eventuell doch noch einen Pouch zu bekommen, aber das war eine andere Geschichte.
Zuerst mußte ich sowieso mal wieder zu Kräften kommen, da ich aber recht fit vor der Operation war, ging das ziemlich schnell und damit merkte ich auch bald, dass Vieles in meinem Leben auf einmal einfacher funktionierte. Wenn ich z.B. Lust auf Laufen hatte ging ich einfach, wenn ich Lust auf Radln hatte ging es los, natürlich habe ich anfangs irgendwie Bedenken gehabt, hält das „Sackerl“ dicht oder hoffentlich wird nicht zuviel Darmaktivität sein, damit ich nicht unterwegs ausleeren muß usw.
Aber all diese offenen Fragen konnte ich bald positiv beantworten. Erstens ließ sich die Aktivität, trotz Dünndarmausgang sehr leicht steuern, wenn ich nicht gerade nach einem üppigen Mittagsmahl startete, war es nie ein Problem. Was ich vor allem bald bemerkte, alles war total kalkulierbar, wenn ich z.B. eine größere Radtour machen wollte, frühstückte ich ein bisserl weniger vor dem Aufbruch und hatte dann über Stunden „meine Ruhe“ und das war einfach von vornherein klar und absolut berechenbar.
Ich konnte mich auf einmal wieder ausschließlich auf das, was ich gerade machte, konzentrieren und das hatte ich seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt.
Manchmal bin ich selbst erstaunt, wie viel diese Versorgungssysteme aushalten. Ich schwitze oft stundenlang sehr stark und habe noch nie irgendein Problem gehabt, dadurch nicht einmal die Wechselfrequenz erhöhen müssen, ich kann mich wirklich total auf meine Versorgung verlassen. Sicher spielt dabei eine große Rolle, ob man den idealen Platz für das Stoma und eine ideale Anlage bekommen hat. Ich bin z.B. schon 4 Monate nach der Operation für 3 Wochen auf Urlaub nach Brasilien geflogen und habe mich dort sehr frei bewegt und alles lief wunderbar, viel, viel einfacher und sorgenloser als in vielen meiner früheren Reisen, wo es oft nur darum ging eine halbwegs entsprechende Toilette zu finden. Ich finde auch, dass die Sauberkeit einer Toilette im Notfall nicht mehr diese Rolle spielt wie früher, ich komme jetzt mit nichts mehr in Kontakt und alles ist auch viel schneller und problemloser „erledigt“. Ich bin z.B. meinen ersten Mountainbike-Marathon ein halbes Jahr später gefahren, 4 Stunden am Rad und kein einziges Mal ausgetreten! So eine Teilnahme wäre für mich „vorher“ undenkbar gewesen.
Ich war sehr erstaunt, dass ich das Stoma überhaupt nicht spüre, ich vergesse total darauf, erst wenn sich der Auffangsack füllt, werde ich aufmerksam darauf es zu entleeren. Ich trage ALLES, was ich auch vorher getragen habe. In meiner Arbeit weiß niemand über mein Stoma Bescheid und ich wüßte auch nicht, warum Sie es jemals entdecken sollten. Ich habe Badehosen an, nicht einmal speziell geschneiderte, sondern einfach diese mit einem längeren Schnitt, die man überall zu kaufen kriegt.
Das Leben und der Alltag ist viel einfacher geworden, früher haben mich all diese täglichen Belastungen viel Energie gekostet, man ist mehr oder weniger jede Minute seines Lebens damit konfrontiert und dadurch bleibt dann einfach weniger Kraft für andere Dinge über.
Ich besuchte Städte oder Gegenden und hatte das Gefühl sie „vorher noch nie gesehen“ zu haben, wahrscheinlich weil ich sie einfach nur mit eingeschränkter Wahrnehmung erlebt habe und jetzt viel mehr Aufnahmekapazität vorhanden ist.
Viele Anstrengungen oder Erledigungen des normalen Lebens konnte ich vor dem Stoma nur mit letzter Kraft erledigen und Vieles mußte auf der Strecke bleiben.
Natürlich will ich bei all dem „Enthusiasmus“ nicht auf die Problematik des Körpergefühls vergessen. Es ist schwer in Worte oder Sätze zu fassen, es fallen mir oft nur Stichworte ein, wie „nicht mehr ganz sein, entstellt, nicht mehr auf seinen Körper stolz sein, seinen Bauch am liebsten verstecken wollen“ usw., das trifft natürlich alles zu. Nur wie war's in meinem Fall wirklich vorher, mit einer Einlage (Windel) in einer Netzunterhose... War das soviel attraktiver? Attraktiver nicht, aber trotzdem anders, denn es geht nicht nur um objektive Vergleiche, sondern auch um das Gefühl zum eigenen Körper und das macht schon zu schaffen und sollte auf keinen Fall negiert oder ignoriert werden. Ich versuche diesen Zustand einfach nur immer irgendwie bewusst zu halten, ihn nicht wegzuschieben, sondern zu versuchen bewußt damit zu leben und es einfach zu akzeptieren. Auch wenn möglich mit Freunden darüber zu sprechen, wie sie das empfinden, ob sie die Vorstellung haben „das sei etwas Grausliches“ „Abstoßendes“ und dann im Falle Aufklärungsarbeit leisten. Trotzdem bemerke auch ich, dass ich das Stoma noch nicht vollständig akzeptiere, wenn es mir z.B. unangenehm ist zu Hause nur in der Unterhose herumzulaufen oder ich in der Früh im Bad in den Spiegel schaue, aber dabei so platziere, dass ich mich nur bis oberhalb des Stoma im Blickfeld habe.
Ich merke es sogar, wenn ich mich mit Kollegen und Freunden treffe, die auch Stomaträger sind. Irgendwie empfinde ich ihnen gegenüber ein eigenartiges Gefühl, ich nehme sie anders wahr als Menschen, die „ganz“ sind und das hat sicherlich nichts mit ihnen zu tun, sondern ist ein Spiegelbild, wie ich mich selbst empfinde – mit einem Wort habe ich „noch viel innere Auseinandersetzung“ zu leisten.
Oder das wichtige Thema der Sexualität, das mit dem Stoma sicher nicht einfach zu bewerkstelligen ist. Wie wird mein Partner darauf reagieren, kann er es akzeptieren, ist Ihm meine Persönlichkeit und Liebe wichtiger als eine gewisse Entstellung meines Körpers. Wie finde ich neue Partner, die noch leichter „abspringen können“ und sich vielleicht gar nicht richtig darauf einlassen wollen, ob sie damit fertig werden könnten. Wann sage ich es einer neuen Bekanntschaft, gleich am Anfang, um mir eine spätere sicher, schwerer zu verdauende Ablehnung zu ersparen, oder lieber erst später, wenn eine gewisse Zuneigung schon entfacht ist und damit vielleicht eine größere Bereitschaft sich zu „konfrontieren“?
Ich denke das ist ein ganz wichtiges Thema, über das wir uns noch ein anderes Mal Gedanken machen sollten.
Ich hatte das große Glück meine liebe Frau in meiner Zeit des temporären Ausganges kennen zulernen, es hat Ihr damals schon nichts ausgemacht und macht Ihr Gott sei Dank auch 17 Jahre später nichts aus, Sie hat mich durch Dick und Dünn begleitet, all' meine unzähligen Hoch und Tiefs mitgemacht, war immer bei mir und ist mir immer beigestanden, ohne sie wäre mein Leben nicht so lebenswert gewesen.
Auf jeden Fall hat sich die Entscheidung wie von selbst ergeben, ob ich doch noch einen Versuch starten soll einen zweiten Pouch zu bekommen. Ich habe auf einmal mein Leben so unbeschwert genießen können, dass ich einfach das Risiko weiterer Operationen nicht in Kauf nehmen wollte. Natürlich hat dabei auch eine große Rolle gespielt, dass es wenige Menschen gibt, die einen zweiten Ileum-Pouch und noch dazu ohne inneren Schließmuskel haben und es sehr spärliche Informationen darüber gibt, wie es denen wirklich geht…
Einen für mich sehr wichtigen Punkt in meiner Krankheitsgeschichte möchte ich auf keinen Fall unerwähnt lassen. Ich war fast über meinen ganzen Krankheitsverlauf in psychosomatischer Betreuung und ich bin ganz fest davon überzeugt, dass dies meine Lebensqualität in all den schwierigen Zeiten ganz entscheidend positiv beeinflusst hat!
Ganz am Beginn will ich darauf hinweisen, dass alle meine wiedergegebenen Erfahrungen rein subjektiv, auf meinen ganz speziellen Fall zugeschnitten, in keinster Weise medizinisch überprüft und daher ein reiner Erfahrungsbericht eines Laien sind. Es gibt so viele unterschiedliche Krankheitsverläufe, die so individuell sind, daß es sehr schwer zu prophezeien ist, ob sie auch auf jemand Anderen zutreffen könnten.
Es werden sicherlich viele unter Ihnen sein, die den „Ileum Pouch“ vollkommen problemlos erleben und ich freue mich von ganzem Herzen mit Ihnen und es werden genauso welche unter Ihnen sein die große Probleme mit Ihrem Stoma haben, Ihnen wünsche ich von ganzem Herzen das sich alles zum Besseren wendet!
Aber nun zu meiner Geschichte:
Mit 18 Jahren hab ich das erste Mal Beschwerden verspürt und bald darauf auch die Diagnose „Colitis Ulcerosa, verbreitet auf den ganzen Dickdarm“, erfahren. Habe dann 3 Jahre später bei einer Operation meinen ganzen Dickdarm verloren und einen Ileum Pouch angelegt bekommen (aus Dünndarm wird ein künstlicher Hohlraum als Stuhlreservoire gebastelt und an den After angeschlossen). Ich war damals 1984 wahrscheinlich einer der Ersten in Österreich mit dieser Operation. Für 2 1/2 Jahre mußte ich aber mit einem temporären künstlichen Dünndarmausgang leben, weil sich die Rückoperation bedingt durch eine Fistel verzögerte.
Nach der Verschließung des künstlichen Ausganges, folgten einige sehr mühsame und beschwerliche Jahre der "Gewöhnung", danach hatte ich aber immer wieder ein paar gute Monate/Jahre.
Gern möchte ich Ihnen mitteilen, was ich unter „guten Monaten“ verstanden habe.
Zu den absoluten Highlights meiner 14 jährigen Zeit mit dem Pouch zählten ein paar Fußballspiele, an denen ich teilnahm, natürlich nur unter vorheriger "Abstimmung" des ganzen Spieltages, was bedeutete: kleines Frühstück, nichts von meinem geliebten morgendlichen Kaffee, wenig Mittagessen, am besten Nudeln oder Reis und dann bis zum Abendspiel nichts mehr zu sich nehmen. Zeitig vor dem Spiel dort sein, um noch ganz knapp vor Spielbeginn in aller Ruhe auf die hoffentlich vorhandene Toilette zu gehen, dabei nicht zu vergessen, eine dicke Einlage in die Netzstrumpf verstärkte Unterhose zu geben und dann mit dem Anpfiff das Spielfeld zu erreichen und dann half nur mehr beten: "hoffentlich bekomm' ich keine Blähungen und hoffentlich schaff' ich es bis zur Pause..."
Möchte an der Stelle aber nochmals daraufhin weisen, dies Alles war nur in den besten, sehr spärlichen, Monaten möglich.
Vormittag war immer alles einfacher, außer ich war wieder einmal bei meiner Lieblingsmahlzeit Frühstück maßlos... Nach dem Mittagessen begann alles etwas mühsamer zu werden, jede ungeplante kleine Aktion, konnte einen zappeligen, Füße kreuzenden und Popobacken zusammenzwickende Situation erzeugen und solche Momente gab es unzählige.
Ein "Gesunder" kann sich das glaub' ich nur sehr, sehr schwer ausmalen, am Besten macht es vielleicht folgendes Szenario deutlich: "Denk' Dir Du hast Durchfall und willst trotzdem Deinen ganz normalen Alltag durchziehen..."
Das kostet auf Dauer schon sehr viel Energie. Man darf bei dem ganzen Schlamassel auch nie darauf vergessen, dass all unsere Beschwerden ja so sehr Tabu behaftet sind!
Der meistens länger dauernde und mehrmalige Aufenthalt auf den Toiletten, der noch dazu trotzdem nicht immer „erleichternd“ war und der Empfang danach mit den Worten „na bist in die Klomuschel gefallen“? Wer gibt schon gerne allgemein Auskunft über seine intimen Befindlichkeiten, manchmal wünschte ich mir eine „ganz normale“ Krankheit, sowie z.B. eine Herzerkrankung oder sonst was, wo jedem klar ist welche Einschränkungen das mit sich zieht und die auch jeder ohne Probleme und schlechte Scherze akzeptieren kann.
Immer vor irgendwelchen Verabredungen oder Unternehmungen abwägen, „werde ich es genießen können oder ständig unter Druck sein, ob sanitäre Erfordernisse in greifbarer Nähe und in ordentlichem Zustand sind“. Ich konnte nicht einfach spontan nach Lust und Laune entscheiden Dinge zu unternehmen, ich mußte vorher immer genau abwägen, was überwiegen wird – die Freude dabei zu sein oder die Mühsal und eigentlich nur darauf zu warten, endlich wieder nach Hause fahren zu können. Oder immer diese Ungewißheit, ob es dort oder am Weg sanitäre Anlagen gibt, nur frag' einmal einen Gesunden, ob Toiletten in der Nähe sind, Du wirst oft keine Auskunft bekommen - warum ? - weil das für Sie nicht diesen Stellenwert hat und daher viel weniger wahrgenommen wird – zusätzlich ist dann noch dieses „Outen“ dabei, wenn man genau nachfragt und Bescheid wissen will, also so hab' ich es zumindest öfters empfunden.
Ich habe es oft nicht zusammengebracht die wahren Gründe meiner Überlegungen darzulegen, sondern mich lieber als „Fauler“ oder „Spaßverderber“ abstempeln lassen, nur um mich nicht näher erklären zu müssen.
Das alles klingt ziemlich anstrengend und war es auch.
Außerdem hatte ich auch immer wieder Entzündungen in meinem Pouch und mußte Medikamente einnehmen, um sie im Zaum zu halten, was letztendlich meinem Körper und speziell meiner Knochendichte auch nicht gerade zuträglich war.
Nach der Diagnose „high grade Dysplasien“ in meinem Pouch im Jahr 2001, damit sind Tumore gemeint, die haarscharf davor sind bösartig zu werden, mußte ich mir leider den Pouch entfernen lassen, noch dazu gerade zu einer Zeit, in der es mir recht gut gegangen ist.
Ich wollte unter absolut keinen Umständen wieder einen künstlichen Ausgang bekommen, hab' meinen Chirurgen beschworen „alles zu unternehmen, damit ich einen zweiten Pouch bekommen kann“!
Es kam dann alles anders und ich bin mit einer endständigen Ileostomie und dem Verlust des inneren Schließmuskels aus dem Spital gegangen, mit der Option mich innerhalb eines Jahres einer weiteren Operation zu unterziehen, um eventuell doch noch einen Pouch zu bekommen, aber das war eine andere Geschichte.
Zuerst mußte ich sowieso mal wieder zu Kräften kommen, da ich aber recht fit vor der Operation war, ging das ziemlich schnell und damit merkte ich auch bald, dass Vieles in meinem Leben auf einmal einfacher funktionierte. Wenn ich z.B. Lust auf Laufen hatte ging ich einfach, wenn ich Lust auf Radln hatte ging es los, natürlich habe ich anfangs irgendwie Bedenken gehabt, hält das „Sackerl“ dicht oder hoffentlich wird nicht zuviel Darmaktivität sein, damit ich nicht unterwegs ausleeren muß usw.
Aber all diese offenen Fragen konnte ich bald positiv beantworten. Erstens ließ sich die Aktivität, trotz Dünndarmausgang sehr leicht steuern, wenn ich nicht gerade nach einem üppigen Mittagsmahl startete, war es nie ein Problem. Was ich vor allem bald bemerkte, alles war total kalkulierbar, wenn ich z.B. eine größere Radtour machen wollte, frühstückte ich ein bisserl weniger vor dem Aufbruch und hatte dann über Stunden „meine Ruhe“ und das war einfach von vornherein klar und absolut berechenbar.
Ich konnte mich auf einmal wieder ausschließlich auf das, was ich gerade machte, konzentrieren und das hatte ich seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt.
Manchmal bin ich selbst erstaunt, wie viel diese Versorgungssysteme aushalten. Ich schwitze oft stundenlang sehr stark und habe noch nie irgendein Problem gehabt, dadurch nicht einmal die Wechselfrequenz erhöhen müssen, ich kann mich wirklich total auf meine Versorgung verlassen. Sicher spielt dabei eine große Rolle, ob man den idealen Platz für das Stoma und eine ideale Anlage bekommen hat. Ich bin z.B. schon 4 Monate nach der Operation für 3 Wochen auf Urlaub nach Brasilien geflogen und habe mich dort sehr frei bewegt und alles lief wunderbar, viel, viel einfacher und sorgenloser als in vielen meiner früheren Reisen, wo es oft nur darum ging eine halbwegs entsprechende Toilette zu finden. Ich finde auch, dass die Sauberkeit einer Toilette im Notfall nicht mehr diese Rolle spielt wie früher, ich komme jetzt mit nichts mehr in Kontakt und alles ist auch viel schneller und problemloser „erledigt“. Ich bin z.B. meinen ersten Mountainbike-Marathon ein halbes Jahr später gefahren, 4 Stunden am Rad und kein einziges Mal ausgetreten! So eine Teilnahme wäre für mich „vorher“ undenkbar gewesen.
Ich war sehr erstaunt, dass ich das Stoma überhaupt nicht spüre, ich vergesse total darauf, erst wenn sich der Auffangsack füllt, werde ich aufmerksam darauf es zu entleeren. Ich trage ALLES, was ich auch vorher getragen habe. In meiner Arbeit weiß niemand über mein Stoma Bescheid und ich wüßte auch nicht, warum Sie es jemals entdecken sollten. Ich habe Badehosen an, nicht einmal speziell geschneiderte, sondern einfach diese mit einem längeren Schnitt, die man überall zu kaufen kriegt.
Das Leben und der Alltag ist viel einfacher geworden, früher haben mich all diese täglichen Belastungen viel Energie gekostet, man ist mehr oder weniger jede Minute seines Lebens damit konfrontiert und dadurch bleibt dann einfach weniger Kraft für andere Dinge über.
Ich besuchte Städte oder Gegenden und hatte das Gefühl sie „vorher noch nie gesehen“ zu haben, wahrscheinlich weil ich sie einfach nur mit eingeschränkter Wahrnehmung erlebt habe und jetzt viel mehr Aufnahmekapazität vorhanden ist.
Viele Anstrengungen oder Erledigungen des normalen Lebens konnte ich vor dem Stoma nur mit letzter Kraft erledigen und Vieles mußte auf der Strecke bleiben.
Natürlich will ich bei all dem „Enthusiasmus“ nicht auf die Problematik des Körpergefühls vergessen. Es ist schwer in Worte oder Sätze zu fassen, es fallen mir oft nur Stichworte ein, wie „nicht mehr ganz sein, entstellt, nicht mehr auf seinen Körper stolz sein, seinen Bauch am liebsten verstecken wollen“ usw., das trifft natürlich alles zu. Nur wie war's in meinem Fall wirklich vorher, mit einer Einlage (Windel) in einer Netzunterhose... War das soviel attraktiver? Attraktiver nicht, aber trotzdem anders, denn es geht nicht nur um objektive Vergleiche, sondern auch um das Gefühl zum eigenen Körper und das macht schon zu schaffen und sollte auf keinen Fall negiert oder ignoriert werden. Ich versuche diesen Zustand einfach nur immer irgendwie bewusst zu halten, ihn nicht wegzuschieben, sondern zu versuchen bewußt damit zu leben und es einfach zu akzeptieren. Auch wenn möglich mit Freunden darüber zu sprechen, wie sie das empfinden, ob sie die Vorstellung haben „das sei etwas Grausliches“ „Abstoßendes“ und dann im Falle Aufklärungsarbeit leisten. Trotzdem bemerke auch ich, dass ich das Stoma noch nicht vollständig akzeptiere, wenn es mir z.B. unangenehm ist zu Hause nur in der Unterhose herumzulaufen oder ich in der Früh im Bad in den Spiegel schaue, aber dabei so platziere, dass ich mich nur bis oberhalb des Stoma im Blickfeld habe.
Ich merke es sogar, wenn ich mich mit Kollegen und Freunden treffe, die auch Stomaträger sind. Irgendwie empfinde ich ihnen gegenüber ein eigenartiges Gefühl, ich nehme sie anders wahr als Menschen, die „ganz“ sind und das hat sicherlich nichts mit ihnen zu tun, sondern ist ein Spiegelbild, wie ich mich selbst empfinde – mit einem Wort habe ich „noch viel innere Auseinandersetzung“ zu leisten.
Oder das wichtige Thema der Sexualität, das mit dem Stoma sicher nicht einfach zu bewerkstelligen ist. Wie wird mein Partner darauf reagieren, kann er es akzeptieren, ist Ihm meine Persönlichkeit und Liebe wichtiger als eine gewisse Entstellung meines Körpers. Wie finde ich neue Partner, die noch leichter „abspringen können“ und sich vielleicht gar nicht richtig darauf einlassen wollen, ob sie damit fertig werden könnten. Wann sage ich es einer neuen Bekanntschaft, gleich am Anfang, um mir eine spätere sicher, schwerer zu verdauende Ablehnung zu ersparen, oder lieber erst später, wenn eine gewisse Zuneigung schon entfacht ist und damit vielleicht eine größere Bereitschaft sich zu „konfrontieren“?
Ich denke das ist ein ganz wichtiges Thema, über das wir uns noch ein anderes Mal Gedanken machen sollten.
Ich hatte das große Glück meine liebe Frau in meiner Zeit des temporären Ausganges kennen zulernen, es hat Ihr damals schon nichts ausgemacht und macht Ihr Gott sei Dank auch 17 Jahre später nichts aus, Sie hat mich durch Dick und Dünn begleitet, all' meine unzähligen Hoch und Tiefs mitgemacht, war immer bei mir und ist mir immer beigestanden, ohne sie wäre mein Leben nicht so lebenswert gewesen.
Auf jeden Fall hat sich die Entscheidung wie von selbst ergeben, ob ich doch noch einen Versuch starten soll einen zweiten Pouch zu bekommen. Ich habe auf einmal mein Leben so unbeschwert genießen können, dass ich einfach das Risiko weiterer Operationen nicht in Kauf nehmen wollte. Natürlich hat dabei auch eine große Rolle gespielt, dass es wenige Menschen gibt, die einen zweiten Ileum-Pouch und noch dazu ohne inneren Schließmuskel haben und es sehr spärliche Informationen darüber gibt, wie es denen wirklich geht…
Einen für mich sehr wichtigen Punkt in meiner Krankheitsgeschichte möchte ich auf keinen Fall unerwähnt lassen. Ich war fast über meinen ganzen Krankheitsverlauf in psychosomatischer Betreuung und ich bin ganz fest davon überzeugt, dass dies meine Lebensqualität in all den schwierigen Zeiten ganz entscheidend positiv beeinflusst hat!