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Jung und in der ILCO
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Ich habe eine Freundin, der ziemlich Vieles peinlich ist: Sie trinkt nur sehr selten und ganz wenig Alkohol in der Öffentlichkeit, aus Angst die Kontrolle zu verlieren, etwas lauter zu werden und womöglich aus reiner Spontanität etwas Ungefiltertes zu tun oder zu sagen; im Supermarkt legt sie immer wenigstens einen Apfel mit aufs Band, damit die anderen Kunden in der Schlange nicht denken, sie kaufe nur Ungesundes; Kondome, Tampons oder Toilettenpapier kauft sie nur dann, wenn gerade niemand guckt; und selbstverständlich würde sie niemals bei fremden Leuten ihr großes Geschäft verrichten, geschweige denn im Fahrstuhl pupsen. Sowas ist ihr furchtbar unangenehm. Die Leute sollen glauben, sie sei eine Art elfenartiges Zauberwesen, aus dem niemals ungesteuerte Körpergeräusche oder -gerüche dringen könnten. Ob irgendjemand ihr das wirklich abkauft – wer weiß. Ein bisschen kann ich sie sogar verstehen.
Als ich in meinen späten Teenager-Jahren das erste Mal Blut im Stuhl hatte, habe ich ganze sechs Wochen gewartet, bis ich mich einem Arzt anvertraut habe. Auch wenn ich nach außen gerne das starke, emanzipierte und immer coole Mädchen gemimt habe, das viel zu altklug ist, um sich von Oberflächlichkeiten, Selbstoptimierungstrends und Schönheitswahn anstecken zu lassen, habe ich doch immer die schönen Mädchen im Fernsehen, den Magazinen und im Internet heimlich bewundert. Wenn solche Mädchen im Film krank werden, haben sie meistens vermeintlich unsichtbare und vor allem unriechbare Leiden, etwas was sie zu verzweifelten Kämpferinnen macht, die der Held zwar nicht retten kann, ihr am Ende aber seine unendliche, bedingungslose Liebe gesteht– aber niemals haben sie etwas, was streng riecht und sie dutzende Male am Tag auf die Toilette treibt! Begehrenswerte Mädchen haben im besten Fall überhaupt gar keinen Stuhlgang. Deshalb habe ich mich geschämt und habe verzweifelt nach Strategien gesucht, um mein Leben so zu gestalten, dass niemand etwas merkt: nicht meine Professoren an der Uni, nicht meine Rendezvous und nicht meine Freundin, die nie bei fremden Leuten zur Toilette geht. Ich wollte die Art von Normalität, die die Mädchen ohne wahrnehmbaren Stoffwechsel im Film vorlebten, sprich ein elfenartiges Wesen ohne Stuhlgang.
Als sich meine Colitis Ulcerosa verschlechterte, ich immer mehr Komplikationen entwickelte und nichts mehr half, stand irgendwann das Stoma als Ultima Ratio im Raum. Ich kannte niemanden mit Stoma. Ich weiß noch, dass mein erster Gedanke war, wie ich mich mit so einem Beutel im Sommer an den Strand legen sollte. Das war zu abwegig! So mutig würde ich niemals sein. Niemals könnte ich so die Illusion von Normalität, die des elfenartigen Zauberwesens ohne Körpergeräusche und –gerüche aufrechterhalten. Aber natürlich konnte es auch nicht weiter gehen wie bisher.
Doch nicht nur meine jugendliche Eitelkeit machte die Stomaoperation zu einer absoluten Albtraumvorstellung. Zum Kopfkino vom Strandurlaub im Bikini gesellten sich schnell ganz konkrete Zukunftsängste. Ich stellte Pläne infrage, von denen ich bis dato nicht einmal wusste, dass ich sie hatte. Nun Fragen über Fragen: Würde ich nach so einer schweren Operation mein Studium abschließen können? Würde ich arbeitsfähig sein? Was war mit Liebe? Essen? Party? Reisen? Familienplanung? Altwerden?
Bei meinem ersten Treffen mit der ILCO war ich mit großem Abstand die Jüngste. Ich kam mir dementsprechend intuitiv ziemlich deplatziert vor. Es war schwer für mich, mir vorzustellen, dass ich und die anderen Mitglieder dieser Gruppe tatsächlich Vieles gemeinsam haben könnten. Doch so unmittelbar nach der Operation war mir auch meine eigene Altersgruppe fremd. Sie und mich trennte ein recht ungewöhnlicher Erfahrungsschatz, der viel mit Krankheit und Sterblichkeit zu tun hat. Egal wie man es dreht und wendet, das ist kein Thema für Smalltalk bei WG-Partys und Openair-Rockkonzerten. Mein Bedürfnis über meine Erlebnisse auf der Intensivstation, in der Reha und mit dem Stoma zu sprechen, prallte am betretenen Schweigen meiner Gesprächspartner ab.
Aber auch bei der ILCO hielt ich mich im Hintergrund. Bis irgendwann der erste schmutzige Witz fiel: Eine Frau, die ihren Partner bei der ILCO kennen gelernt hatte, sagte, dass der Sex von Stomaträgern eigentlich noch viel aufregender sei als bei Personen ohne Stoma – Es knistere mehr!
Diese Lockerheit imponierte mir. Humor als Strategie mit der eigenen Scham besser umzugehen. Lachen als Kompensationsmechanismus, der es nicht nur einem selber sondern auch den Menschen, die einen umgeben, leichter macht, mit unbequemen Themen gelassener umzugehen. Ich erlebte die ILCO als einen geschützten Raum, in dem ich meine Zukunftsängste und Hemmungen und meine peinlichen Erlebnisse mit dem Stoma erzählen konnte, ohne mein Gegenüber zu überfordern. Ich fand Menschen, die sich Geschichten von mir anhörten, bei denen meine Freundin, der ziemlich Vieles peinlich ist, wahrscheinlich in Ohnmacht gefallen wäre. Jeder und jede Einzelne in der Gruppe teilte diese Erfahrungen, kannte die Ängste, die Herausforderungen und das Fragenkarussell aus nächster Nähe. Ich traf auf Betroffene, die wie ich, in jungen Jahren ein Stoma bekommen hatten und dennoch ihre Pläne von der Zukunft nicht aus den Augen verloren haben: Familiengründung, beruflicher Erfolg, Reisen, Neues lernen und manchmal auch ganz unvernünftige und unvorhergesehen Dinge. Und ich traf auf Betroffene, die später in ihrem Leben aus diversesten Gründen hatten operiert werden müssen und auch mit ihnen verband mich die Suche nach Strategien, um nach diesem Umbruch, seinen Alltag wiederzuentdecken. Dieses Treffen und die folgenden gaben und geben mir die Zuversicht, dass ein gelungenes Leben nicht unbedingt von dem abhängen muss, was andere vermeintlich von einem wahrnehmen oder nicht. Ich verfolge nicht mehr den Anspruch, die Illusion von mir als ein elfenartiges Zauberwesen ohne Stoffwechsel aufrechtzuerhalten. Manchmal fühle ich mich sogar ein bisschen befreit, dass dieser Druck, unrealistischen Idealen genügen zu müssen, für mich nicht mehr gilt.
Als ich in meinen späten Teenager-Jahren das erste Mal Blut im Stuhl hatte, habe ich ganze sechs Wochen gewartet, bis ich mich einem Arzt anvertraut habe. Auch wenn ich nach außen gerne das starke, emanzipierte und immer coole Mädchen gemimt habe, das viel zu altklug ist, um sich von Oberflächlichkeiten, Selbstoptimierungstrends und Schönheitswahn anstecken zu lassen, habe ich doch immer die schönen Mädchen im Fernsehen, den Magazinen und im Internet heimlich bewundert. Wenn solche Mädchen im Film krank werden, haben sie meistens vermeintlich unsichtbare und vor allem unriechbare Leiden, etwas was sie zu verzweifelten Kämpferinnen macht, die der Held zwar nicht retten kann, ihr am Ende aber seine unendliche, bedingungslose Liebe gesteht– aber niemals haben sie etwas, was streng riecht und sie dutzende Male am Tag auf die Toilette treibt! Begehrenswerte Mädchen haben im besten Fall überhaupt gar keinen Stuhlgang. Deshalb habe ich mich geschämt und habe verzweifelt nach Strategien gesucht, um mein Leben so zu gestalten, dass niemand etwas merkt: nicht meine Professoren an der Uni, nicht meine Rendezvous und nicht meine Freundin, die nie bei fremden Leuten zur Toilette geht. Ich wollte die Art von Normalität, die die Mädchen ohne wahrnehmbaren Stoffwechsel im Film vorlebten, sprich ein elfenartiges Wesen ohne Stuhlgang.
Als sich meine Colitis Ulcerosa verschlechterte, ich immer mehr Komplikationen entwickelte und nichts mehr half, stand irgendwann das Stoma als Ultima Ratio im Raum. Ich kannte niemanden mit Stoma. Ich weiß noch, dass mein erster Gedanke war, wie ich mich mit so einem Beutel im Sommer an den Strand legen sollte. Das war zu abwegig! So mutig würde ich niemals sein. Niemals könnte ich so die Illusion von Normalität, die des elfenartigen Zauberwesens ohne Körpergeräusche und –gerüche aufrechterhalten. Aber natürlich konnte es auch nicht weiter gehen wie bisher.
Doch nicht nur meine jugendliche Eitelkeit machte die Stomaoperation zu einer absoluten Albtraumvorstellung. Zum Kopfkino vom Strandurlaub im Bikini gesellten sich schnell ganz konkrete Zukunftsängste. Ich stellte Pläne infrage, von denen ich bis dato nicht einmal wusste, dass ich sie hatte. Nun Fragen über Fragen: Würde ich nach so einer schweren Operation mein Studium abschließen können? Würde ich arbeitsfähig sein? Was war mit Liebe? Essen? Party? Reisen? Familienplanung? Altwerden?
Bei meinem ersten Treffen mit der ILCO war ich mit großem Abstand die Jüngste. Ich kam mir dementsprechend intuitiv ziemlich deplatziert vor. Es war schwer für mich, mir vorzustellen, dass ich und die anderen Mitglieder dieser Gruppe tatsächlich Vieles gemeinsam haben könnten. Doch so unmittelbar nach der Operation war mir auch meine eigene Altersgruppe fremd. Sie und mich trennte ein recht ungewöhnlicher Erfahrungsschatz, der viel mit Krankheit und Sterblichkeit zu tun hat. Egal wie man es dreht und wendet, das ist kein Thema für Smalltalk bei WG-Partys und Openair-Rockkonzerten. Mein Bedürfnis über meine Erlebnisse auf der Intensivstation, in der Reha und mit dem Stoma zu sprechen, prallte am betretenen Schweigen meiner Gesprächspartner ab.
Aber auch bei der ILCO hielt ich mich im Hintergrund. Bis irgendwann der erste schmutzige Witz fiel: Eine Frau, die ihren Partner bei der ILCO kennen gelernt hatte, sagte, dass der Sex von Stomaträgern eigentlich noch viel aufregender sei als bei Personen ohne Stoma – Es knistere mehr!
Diese Lockerheit imponierte mir. Humor als Strategie mit der eigenen Scham besser umzugehen. Lachen als Kompensationsmechanismus, der es nicht nur einem selber sondern auch den Menschen, die einen umgeben, leichter macht, mit unbequemen Themen gelassener umzugehen. Ich erlebte die ILCO als einen geschützten Raum, in dem ich meine Zukunftsängste und Hemmungen und meine peinlichen Erlebnisse mit dem Stoma erzählen konnte, ohne mein Gegenüber zu überfordern. Ich fand Menschen, die sich Geschichten von mir anhörten, bei denen meine Freundin, der ziemlich Vieles peinlich ist, wahrscheinlich in Ohnmacht gefallen wäre. Jeder und jede Einzelne in der Gruppe teilte diese Erfahrungen, kannte die Ängste, die Herausforderungen und das Fragenkarussell aus nächster Nähe. Ich traf auf Betroffene, die wie ich, in jungen Jahren ein Stoma bekommen hatten und dennoch ihre Pläne von der Zukunft nicht aus den Augen verloren haben: Familiengründung, beruflicher Erfolg, Reisen, Neues lernen und manchmal auch ganz unvernünftige und unvorhergesehen Dinge. Und ich traf auf Betroffene, die später in ihrem Leben aus diversesten Gründen hatten operiert werden müssen und auch mit ihnen verband mich die Suche nach Strategien, um nach diesem Umbruch, seinen Alltag wiederzuentdecken. Dieses Treffen und die folgenden gaben und geben mir die Zuversicht, dass ein gelungenes Leben nicht unbedingt von dem abhängen muss, was andere vermeintlich von einem wahrnehmen oder nicht. Ich verfolge nicht mehr den Anspruch, die Illusion von mir als ein elfenartiges Zauberwesen ohne Stoffwechsel aufrechtzuerhalten. Manchmal fühle ich mich sogar ein bisschen befreit, dass dieser Druck, unrealistischen Idealen genügen zu müssen, für mich nicht mehr gilt.
Annika