Kalt und warm
Das soll also mein ganzes Leben so sein? Nie mehr normal aufs WC gehen, immer einen Beutel am Bauch, der jeden Augenblick aufgehen könnte? Keine enge Jeans mehr tragen, da sich der Beutel bei Völle abzeichnet? Wie wird das in der Therme, in der Sauna, beim Schwimmen im Sommer, im Fitnessstudio? Ich kann´s mir nicht vorstellen, und doch ist es so. Naja, vor der OP war’s auch nicht gerade ideal, die Details sind mir noch gut in Erinnerung, ich erspar sie euch, wahrscheinlich kennen es viele. Mittlerweile ist es normale Tagesroutine geworden, morgens, wenn der Darm noch schläft, wechseln, leeren, wenn notwendig, Duftspender in jedem meiner zwei WCs zu Hause, und unterwegs eine Schachtel Zündhölzer gegen diverse Gerüche und ein kleines Necessaire mit Reservebeuteln in der Handtasche oder im Rucksack. Und die richtige Versorgung hab ich auch gefunden. Das Leben hat sich in den letzten Jahren wieder eingerenkt.
Wir schweben mit der Seilbahn auf den Berg, mein Sohn, mein Enkel und ich. Unsere Mountainbikes hängen außen auf der Gondel, denn hinunter geht’s auf je zwei Rädern. Wir freuen uns schon auf den längsten Country Flow Trail Europas, der vor ein paar Jahren im Süden Kärntens gebaut wurde. Und heute sind wir im Drei-Generationen-Modus unterwegs, was mir noch einmal einen Extrakick gibt. Und Max mit seinen acht Jahren stürzt sich den Berg hinunter, hinein in die überbauten Kurven, manchmal enger, manchmal mit größerem Radius, den Berghang entlang, dann wieder steiler, über sogenannte Tables, bei denen der kleine Lauser schon zu springen versucht, aber immer kontrolliert. Nach 1000 „Tiefenmetern“ erreichen wir den Übungstrail, auf dem Max’ kleine Schwester unter Aufsicht ihres Opis die ersten Erfahrungen sammelt. Insgesamt dreimal bewältigen wir in unterschiedlicher Besetzung den Trail, und am späten Nachmittag steht allen ein verklärtes Lächeln im Gesicht.
Eine Woche später: nein, nicht schon wieder! Schmerzen im kleinen Becken, es drückt mir alles, was in meinem Bauch noch vorhanden ist, gegen das Zwerchfell, und das Stoma fördert nur Wasser, dann nur mehr ganz, ganz kleine Portionen Verdautes. Vielleicht geht es wieder so wie vor zwei Wochen, als sich letztendlich alles wieder auflöste. Aber nein, schließlich muss ich doch ins Krankenhaus starten, ich weiß genau, was auf mich zukommt. Das Schrecklichste ist das Legen der Magensonde, aber ich weiß auch, dass dann der Druck weg ist und die Schmerzen nachlassen. Schließlich löst sich alles mit Hilfe eines Einlaufes wieder, die Nacht mit der Magensonde ist natürlich zum Vergessen, aber am nächsten Morgen funktioniert alles wieder normal. Die Ärzte wollen mich noch eine Nacht behalten, aber ich bestehe auf der Entlassung, schließlich weiß ich eh, wie ich den Kostaufbau zu gestalten habe.
Am nächsten Tag fahren wir mit dem Wohnmobil an einen unserer schönen Seen und ich genieße das Wasser um meinen Körper, die heiße Sommerluft, die Entspannung. Der Abend ist lau, die Sterne glitzern und ich bin mit der Welt versöhnt.
Am nächsten Morgen holt mein Mann die Enkelkinder zu uns an den See. Ich sitze mit den beiden am Steg, im Bikini, und ich hab mir vorgenommen, ihnen heute das Stoma zu erklären. Das geht ganz einfach, es kommen ein paar Fragen, aber jetzt ist es ganz klar, warum die Omi ein Pflaster am Bauch hat und es ist kein Thema mehr. (Mein ältester Enkel Alex antwortete vor ein paar Jahren lapidar auf die Erklärung, das Pflaster ist wegen des Lochs in meinem Bauch, „aber da fällt ja dann das ganze Essen heraus“. Sein Daddy und ich mussten laut lachen, wie recht der kleine Kerl doch hatte.) Dann aber schnell ins Wasser, und es wird geschwommen, gesprungen, geblödelt. Am Nachmittag kommen ihre Eltern, und da es so heiß ist, führt auch jetzt der schnellste Weg ins Wasser. Und wieder sind es drei Generationen, die es gemeinsam genießen, wenn sie ins gar nicht so kühle Nass springen, Max und Hannes mit Salto, ich mit Köpfler und Lara mit „Arschbombe“, wie sie stolz erklärt. Dann feiern wir meinen Geburtstag, und ich bin ganz einfach nur glücklich und dankbar, dass es mir wieder gut geht, dass ich so eine tolle Familie habe, in so einer schönen Gegend lebe, ich medizinisch immer gut versorgt bin, wenn ich es brauche, und ganz einfach, weil das Leben so schön ist.
Ich bin mir bewusst, dass es mir trotz meiner Geschichte hervorragend geht. Im Winter flitze ich über unsere Pisten, im Sommer radle ich auf die Berge oder befahre in meinem Kajak vorzugsweise die slowenische Soća. Ich bin begeisterte Schülerin in unserer Musikschule, wo mich meine Lehrerin behutsam an schwierigere Werke heranführt. Darüber hinaus darf ich in einem
Ensemble mitspielen, und das gemeinsame Musizieren macht großen Spaß. Ich habe einen Mann, der all die Jahre mit mir durch dick und dünn gegangen ist, Kinder, auf die ich mich verlassen kann, und Enkelkinder, die mir so viel Freude bereiten.
Dass es daneben Tage gibt, wo mich so vieles „anzipft“, ist wohl normal und nicht nur dem Stoma geschuldet. Aber einige Einschränkungen gehen mir manchmal einfach auf die Nerven, wenn ich z.B. meine Himbeeren immer pürieren und passieren muss, weil ich einfach Angst vor den Kernen habe, dass sie meinen Darm verstopfen, außerdem schmerzen die Kerne, wenn sie auf dem Weg in den Beutel sind. Bei der Entfernung der Schalen von Tomaten und Weintrauben hab ich schon so einen Zungenfertigkeit erlangt, das ist sagenhaft, aber das geht nur in meinen eigenen vier Wänden, in einem Lokal ist es halt nicht so appetitlich. Und manchmal brennt und juckt es ganz fürchterlich, wenn die Ausscheidungen zu flüssig und aggressiv sind, wenn ich die Tomaten aus dem eigenen Garten zu sehr genossen habe, wenn ich den frischen Himbeeren direkt vom Strauch nicht widerstehen konnte, wenn…, ja nicht immer gibt es einen plausiblen Grund dafür. Aber ich weiß anderseits auch ganz genau, dass es anders sein könnte, und dieses Bewusstsein holt mich dann wieder aus einem Loch heraus, das halt auch zu meinem Alltag gehört. Dann freu ich mich auf eine Mountainbiketour oder Schitour, auf ein schönes Konzert, auf eine Einladung bei lieben Freunden. Und die Welt ist wieder in Ordnung … oder zumindest fast.
H.B.
Wir schweben mit der Seilbahn auf den Berg, mein Sohn, mein Enkel und ich. Unsere Mountainbikes hängen außen auf der Gondel, denn hinunter geht’s auf je zwei Rädern. Wir freuen uns schon auf den längsten Country Flow Trail Europas, der vor ein paar Jahren im Süden Kärntens gebaut wurde. Und heute sind wir im Drei-Generationen-Modus unterwegs, was mir noch einmal einen Extrakick gibt. Und Max mit seinen acht Jahren stürzt sich den Berg hinunter, hinein in die überbauten Kurven, manchmal enger, manchmal mit größerem Radius, den Berghang entlang, dann wieder steiler, über sogenannte Tables, bei denen der kleine Lauser schon zu springen versucht, aber immer kontrolliert. Nach 1000 „Tiefenmetern“ erreichen wir den Übungstrail, auf dem Max’ kleine Schwester unter Aufsicht ihres Opis die ersten Erfahrungen sammelt. Insgesamt dreimal bewältigen wir in unterschiedlicher Besetzung den Trail, und am späten Nachmittag steht allen ein verklärtes Lächeln im Gesicht.
Eine Woche später: nein, nicht schon wieder! Schmerzen im kleinen Becken, es drückt mir alles, was in meinem Bauch noch vorhanden ist, gegen das Zwerchfell, und das Stoma fördert nur Wasser, dann nur mehr ganz, ganz kleine Portionen Verdautes. Vielleicht geht es wieder so wie vor zwei Wochen, als sich letztendlich alles wieder auflöste. Aber nein, schließlich muss ich doch ins Krankenhaus starten, ich weiß genau, was auf mich zukommt. Das Schrecklichste ist das Legen der Magensonde, aber ich weiß auch, dass dann der Druck weg ist und die Schmerzen nachlassen. Schließlich löst sich alles mit Hilfe eines Einlaufes wieder, die Nacht mit der Magensonde ist natürlich zum Vergessen, aber am nächsten Morgen funktioniert alles wieder normal. Die Ärzte wollen mich noch eine Nacht behalten, aber ich bestehe auf der Entlassung, schließlich weiß ich eh, wie ich den Kostaufbau zu gestalten habe.
Am nächsten Tag fahren wir mit dem Wohnmobil an einen unserer schönen Seen und ich genieße das Wasser um meinen Körper, die heiße Sommerluft, die Entspannung. Der Abend ist lau, die Sterne glitzern und ich bin mit der Welt versöhnt.
Am nächsten Morgen holt mein Mann die Enkelkinder zu uns an den See. Ich sitze mit den beiden am Steg, im Bikini, und ich hab mir vorgenommen, ihnen heute das Stoma zu erklären. Das geht ganz einfach, es kommen ein paar Fragen, aber jetzt ist es ganz klar, warum die Omi ein Pflaster am Bauch hat und es ist kein Thema mehr. (Mein ältester Enkel Alex antwortete vor ein paar Jahren lapidar auf die Erklärung, das Pflaster ist wegen des Lochs in meinem Bauch, „aber da fällt ja dann das ganze Essen heraus“. Sein Daddy und ich mussten laut lachen, wie recht der kleine Kerl doch hatte.) Dann aber schnell ins Wasser, und es wird geschwommen, gesprungen, geblödelt. Am Nachmittag kommen ihre Eltern, und da es so heiß ist, führt auch jetzt der schnellste Weg ins Wasser. Und wieder sind es drei Generationen, die es gemeinsam genießen, wenn sie ins gar nicht so kühle Nass springen, Max und Hannes mit Salto, ich mit Köpfler und Lara mit „Arschbombe“, wie sie stolz erklärt. Dann feiern wir meinen Geburtstag, und ich bin ganz einfach nur glücklich und dankbar, dass es mir wieder gut geht, dass ich so eine tolle Familie habe, in so einer schönen Gegend lebe, ich medizinisch immer gut versorgt bin, wenn ich es brauche, und ganz einfach, weil das Leben so schön ist.
Ich bin mir bewusst, dass es mir trotz meiner Geschichte hervorragend geht. Im Winter flitze ich über unsere Pisten, im Sommer radle ich auf die Berge oder befahre in meinem Kajak vorzugsweise die slowenische Soća. Ich bin begeisterte Schülerin in unserer Musikschule, wo mich meine Lehrerin behutsam an schwierigere Werke heranführt. Darüber hinaus darf ich in einem
Ensemble mitspielen, und das gemeinsame Musizieren macht großen Spaß. Ich habe einen Mann, der all die Jahre mit mir durch dick und dünn gegangen ist, Kinder, auf die ich mich verlassen kann, und Enkelkinder, die mir so viel Freude bereiten.
Dass es daneben Tage gibt, wo mich so vieles „anzipft“, ist wohl normal und nicht nur dem Stoma geschuldet. Aber einige Einschränkungen gehen mir manchmal einfach auf die Nerven, wenn ich z.B. meine Himbeeren immer pürieren und passieren muss, weil ich einfach Angst vor den Kernen habe, dass sie meinen Darm verstopfen, außerdem schmerzen die Kerne, wenn sie auf dem Weg in den Beutel sind. Bei der Entfernung der Schalen von Tomaten und Weintrauben hab ich schon so einen Zungenfertigkeit erlangt, das ist sagenhaft, aber das geht nur in meinen eigenen vier Wänden, in einem Lokal ist es halt nicht so appetitlich. Und manchmal brennt und juckt es ganz fürchterlich, wenn die Ausscheidungen zu flüssig und aggressiv sind, wenn ich die Tomaten aus dem eigenen Garten zu sehr genossen habe, wenn ich den frischen Himbeeren direkt vom Strauch nicht widerstehen konnte, wenn…, ja nicht immer gibt es einen plausiblen Grund dafür. Aber ich weiß anderseits auch ganz genau, dass es anders sein könnte, und dieses Bewusstsein holt mich dann wieder aus einem Loch heraus, das halt auch zu meinem Alltag gehört. Dann freu ich mich auf eine Mountainbiketour oder Schitour, auf ein schönes Konzert, auf eine Einladung bei lieben Freunden. Und die Welt ist wieder in Ordnung … oder zumindest fast.
H.B.